Indigen - Was bedeutet das?

Indianer, Naturvölker, Eingeborene. Indigene Völker haben viele Bezeichnungen, doch welche davon entstanden mit ihrem Einverständnis? Welche sollte man nutzen, welche sind kolonial negativ konnotiert oder sogar rassistisch?

Seinen Ursprung hat die Bezeichnung „indigen“ im Lateinischen „indigenus“, das so viel wie „einheimisch“ bedeutet. Im deutschen Sprachgebrauch wird der Terminus der Indigenen Völker zunehmend populär, Synonyme sind zum Beispiel Ureinwohner oder Eingeborene. Diese erinnern jedoch an ihren Ursprung im Kolonialismus und werden daher immer weniger genutzt.

Während „Indigene Völker“ im Deutschen die politisch korrekte Bezeichnung darstellt, sieht das in anderen Sprachen zuweilen anders aus. Dort kann auch das Wort „indigen“ zuweilen mit Rassismus in Verbindung gebracht wird. Im Spanischen etwa werden die „pueblos indígenas“ in einigen Ländern abwertend mit geringer Intelligenz, fehlender Hygiene und einem angeblich „hässlichen“ Erscheinungsbild in Verbindung gebracht. Um dem aus dem Weg zu gehen, unterscheidet man in Peru zwischen den „Comunidades andinas“, den indigenen Gemeinschaften der Anden, und den „Comunidades nativas“, den indigenen Gemeinschaften Amazoniens.

Was heißt „indigen“

Doch wie definiert man überhaupt, welche Gemeinschaften als indigen gelten und welche nicht? Auf diese Frage gibt es verschiedenste Antworten, unterschiedliche Organisationen umfassen den Begriff der indigenen Gemeinschaften stets ein wenig anders. Die meisten beinhalten die Lebensweise, Herkunft und aktuelle Lebenssituation der Gemeinschaften. Aus juristischer Sicht kann man sich an der Definition der United Nations Working Group on Indigenous Populations von 1982 orientieren. Diese besagt, dass Völker dann als indigen eingestuft werden, wenn sie:

  1. Heutige Nachfahren der Völker sind, die beim Eintreffen der Kolonialisten unterworfen wurden.
  2. Heute eine tiefere Verbindung zu ihren Bräuchen, ihrer Kultur und ihrem Land haben als zu den Staatsstrukturen, denen sie zugeordnet sind.
  3. Teil eines Landes sind, dessen soziale und kulturelle Merkmale an andere Bevölkerungsgruppen angepasst und den Indigenen selbst oft bis heute fremd sind.

Indigene Völker zeichnen sich i.d.R. außerdem bis heute durch ihre Beziehung zum Land aus, die oft immer noch anders ist als in Europa. Sie verstehen Land in erster Linie nicht als Ware oder Produktionsmittel, sondern als Lebensraum, den sie sich mit anderen Lebewesen teilen. Häufig werden dem Land, bestimmten Pflanzen und Tieren bis heute Persönlichkeitsmerkmale zugeschrieben, wodurch eine fast familiäre Verbundenheit zwischen den Menschen, dem Land und anderen Lebewesen entsteht. Eine gedankenlose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die in der westlichen Wirtschaftsordnung allgegenwärtig ist, ist für Indigene deshalb schwer vorstellbar.

Als Synonym zu „indigenen Gemeinschaften“ wird häufig die Bezeichnung „Stamm“ genutzt. Hier muss allerdings klar zwischen Indigenen und in Stämmen lebenden Gemeinschaften unterschieden werden. Außerdem ist die bessere Bezeichnung häufig „Volk.“ Man sollte also z.B. vom Volk der Yanesha oder Maasai sprechen und nicht vom Stamm. Darüber hinaus leben nicht alle indigenen Völker in Stämmen, so sind z.B. die Quechua in Peru eine so große Bevölkerungsgruppe, dass die wenigsten ihrer Angehörigen in geschlossenen Dörfern in den Anden leben, viel mehr sind sie heute zum großen Teil in der nicht-indigenen, urbanen Bevölkerung Perus aufgegangen. Auch juristisch ist die Differenzierung der Lebensform relevant, da in Stämmen lebenden Indigenen und Nomaden besondere rechtliche Sicherheiten zugesprochen werden.

Sprache, Wahrnehmung und Haltung

Dass wir die Begrifflichkeiten für indigene Völker richtig verwenden, ist aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen werden durch Benennungen wie „Naturvölker“ immer noch Vorurteile über die Lebensweise der Indigenen zum Ausdruck gebracht, zum anderen entspringen viele Bezeichnungen dem Kolonialismus. Beim Eintreffen der Kolonialmächte wurden die indigenen Völker nicht nur ihres Lebens, ihrer Territorien und ihrer Kultur, sondern auch des Rechtes, sich selbst einen Namen zu geben, beraubt. Viele Betitelungen entstammen falschen Annahmen und sind auch heute noch im Sprachgebrauch präsent, da sie im Laufe der Jahrhunderte nicht berichtigt wurden. Ein Beispiel ist die Benennung der Indigenen Amerikas als „Indianer“, die dem Irrglauben Kolumbus´, er wäre in Indien gelandet, geschuldet ist. Dabei sind viele gängige Bezeichnungen, die indigenen Völkern durch Europäer aufgezwungen wurden, nicht einfach nur falsch, sondern oft sogar beleidigend.   

Bis heute ist der Begriff „Indianer“ in den Köpfen vieler Menschen verankert, wobei sich die Mehrheit der Bevölkerung des Rassismus des Wortes „Indianer“ überhaupt nicht bewusst ist, sonst wäre der Begriff wohl nicht zu einer solchen Popularität gelangt. Schon von Kindesalter an wird uns eingebläut, dass das „Indianer-Kostüm“ einfach zum Fasching gehöre und „Cowboy und Indianer“ ein lustiges Spiel mit Freunden wäre. Was also mit der Aufklärung über die korrekte Terminologie beginnt, muss schließlich in einen Bewusstseinswechsel münden. Erst wenn dieser Wandel im Sprachgebrauch und in der Sicht auf indigene Völker erfolgreich vollzogen ist, kann ihr Kampf um Rechte und Anerkennung endlich erfolgreich sein.

Trotz der teils negativen Konnotation des Wortes „Indigen“ in anderen Sprachen stellt „Indigen“ im deutschen Sprachgebrauch die einzig korrekte Bezeichnung für indigene Völker dar und wird daher auch von Chance e.V. verwendet. Bezeichnungen wie „Eingeborene“ sollten heute nicht mehr verwendet werden.

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